Kolumne 1

 

Der Morgen“

 

Während ich allen Computern Guten Morgen gesagt habe und Ihnen einen wohlverdienten Neustart in den Tag beschere, übermüdeten Nachtdienstlern den Weg kreuze und die krümligen Spuren der Hektik und hygienischer Ignoranz im Aufenthaltszimmer wahrnehme - bin ich auch schon mittendrin in meinem wahrhaft bildgebenden Frühdienst!

Kollegen aus den Nachbarabteilungen trudeln durch den Schaltflur und ich muss mich so langsam an das stark frequente Geräusch dieser lästigen Kaffeemaschine von nebenan gewöhnen. Im Übrigen nicht das Einzige, mit dem ich mich wohl nie anfreunden werde.

Ein Blick auf die Patientenliste verrät, dass der Ansturm des heutigen Schönwetter- Tages wohl noch auf sich warten lässt und ich zu erst einmal die verbalen Überraschungen meines e- mail Fachs studieren kann.

Fragen, die mich permanent quälen, bleiben offen. Themen, die mich wirklich bewegen, stehen still. Und Probleme, die ich angesprochen habe, bleiben unbeantwortet. Stattdessen erfahre ich von dem ein oder anderen Software- Update, ein Kollege hat schon wieder das Haus verlassen, die Noroviren haben den Patientenstamm der Geriatrie überflutet, es gibt regionale aber vor allem saisonale Gerichte  in der Cafeteria und das aus dem verwaltungsursprünglichen Optimismus kreierte Monatsblättchen steht allen interessierten Lesern von nun an zur Verfügung.

Toll!

Ich fühle mich allein gelassen. Fachlich, technisch, strukturell und vor allem personell.

Damals  bin ich mit Enthusiasmus an meine leitende Funktion gegangen und nun stehe ich vor einem insuffizienten Scherbenhaufen. Zerknirscht vom harschen Sand im Getriebe der leitenden Position auf mittlerer Ebene. Zerschlissen vom Druck der gesundheitspolitischen Vorgaben, der personifizierten Umsetzung derer im schauspielernden Mantel des Verwaltungstraktes und emotional beherrscht von den Gefühlen zu meiner engagierten Belegschaft. Schönreden verursacht mir Brechreiz, floskelverzierte Hinhaltetaktiken stechenden Kopfschmerz und Wegschauen Wut!

Ich gehe schnell zu einem kurzatmigen Patienten, dessen Blick innere Not und Angst verrät. Es bleibt mir kaum eine Gelegenheit, meinem Bemerken Ausdruck zu verleihen. Routiniert lege ich den Detektor unter den vor Schmerz und Kälte verzerrten Alten, stelle alles ein und mein grautonreiches Kunstwerk ist kurzer Hand vollbracht.

Man kündigt mir einen Schlaganfall an. Der Schenkelhals soll doch bitte gleich dran kommen. Das Telefon klingelt. Ein Mitarbeiter meldet sich hüstelnd für die nächste Woche krank. Die Sanitäter vom Roten Kreuz sind polternd und pseudowitzig. Die komplette Mannschaft hat die süßlich riechende adipöse Patientin in Ihrem beigen Korsett, geblümter Bluse, dem wohl behüteten Notrufknopf und einer grobösigen Goldkette mit Engelanhänger, samt drei schmieriger Kissen Ihrer Wohnzimmercouch bereits umgelagert. Ich sollte dankbar gucken, aber sie sind schon wieder alle weg. „Brennst Du mir noch schnell eine CD?“ ruft es aus der Aufnahme. In der Ambulanz nebenan höre ich jemanden lauthals würgen und mir tut der Hals weh. Das ich auf der Worklist den verkehrten Namen angewählt habe topt nur noch mein falscher Buchstabe neben dem Trochanter.

Ich sollte nach Hause gehen, meine Tochter umarmen und Tee trinken. Schließlich ist heute Sonntag…

 

Kolumne 2

 

„ Maskulines Zischen“

 

 

Es ist Dienstag später Nachmittag. Ich habe den Großteil der aufkommenden Patienten bereits erfolgreich durch die Kabinen, wenig bekleidet über meinen Buckytisch und am Wandstativ vorbei gejagt.

Fast alles scheint erledigt zu sein und ich bin ein bisschen stolz auf meine heutige Struktur, leicht verschwitzte physische und bisweilen stabile psychische Konstitution.

Zügig laufe ich in den Schaltflur und bestätige digital die Summe meiner strahlenexponierten Körperverletzungen des heutige Tages. Auf dieser Plattform erscheint mein Name mir irgendwie fremd. „Was hab ich nur getan?“ denke ich schmunzelnd im Angesicht der Strahlenhygiene. Manchmal meint man, es sei eine Art Sport oder diagnostisches Grundgebet, bei schmerzhaftem Eintritt in die Klinik und deren Praxen ein monochromes Casting in der Radiologie zu bekommen.

Ein neuer Mitarbeiter, der es wohl zeitlich noch nicht geschafft hat, sich mir vorzustellen, fegt an mir vorbei und murmelt was von einem Notfall „Innere“. Aha, und jetzt? Beflissen frage ich den juvenilen Unbekannten und hänge optisch an seiner unreinen Haut. Ich erspähe sein schief hängendes Namensschild und bekomme trotz Eiterekel mit, dass ich gleich eine alte dyspnoeische Dame mit heftigen Bauchschmerzen zu röntgen habe.

Der neue Pickelkollege schiebt mir die Trage in den Raum und ich erblicke eine süße, federleichte Omi, deren weißes dünnes Haar mit langen, alten Metallkammern flauschig an den Schläfenbeinen fixiert ist. Sie kriegt kaum Luft und lächelt. Ich sage höflich und laut: „Guten Tag“ und denke gleichermaßen- was ist wohl gut an Ihrem Tag? Sie ist 82, liegt im Pflegeheim, Ihr Herz versagt, Ihr Bauch krampft sich zusammen und der Tod, so was sieht man, möchte sie bereits schon mal kennen lernen. Da sie unfähig ist zu stehen, wuchte ich sie auf die linke Seite und quetsche sie schon mal vor das Wandstativ. Ich erblicke Ihre verschmutze Unterhose und versuche zu erklären, das diese Zwangslage für ca. 10 Minuten einen echten medizinischen Wert hat. Geplagt von gleichzeitiger Atemnot lächelt sie mir duldsam zu und lässt alles mit sich geschehen. Eine der längsten 10 Minuten seit geraumer Zeit…Nun endlich darf ich sie aufsetzen und eine schöne Thoraxaufnahme im Sitzen anfertigen, die mir unmissverständlich verrät, das mehr Wasser in Ihrer Lunge, als in meinem Glas ist. Als die hilflose  Patientin kopfwärts den Raum verlässt lächelt sie mich wieder an und winkt mir durch zartes Heben Ihrer knochigen Hand noch einmal zu. Ihr leises Danke tönt wie Schuld in meinem Ohr. Ich kann Ihr nicht helfen und übe mich in Akzeptanz des Sterbens.

Wenige Minuten später rufe ich einen jungen Mann aus dem Wartezimmer auf, um mittels meiner kleinformatigen Aufnahmen eine Fraktur an seinen Zeigefinger auszuschließen. Schon während des Gehens höre ich sein subtiles “Zzzzzzz, Aaaaaaaah, Aua“!. Ich versuche, derartige testosterongesteuerte Laute gekonnt zu überhören. Aber gerade will es mir nicht gelingen und ich bemerke deutlich eine meterhohe Welle der Aggression in mir. Weiter zischend läuft der Kerl an mir vorbei und ich denke: E.T. - nach Hause telefonieren, oder was ?! Ganz ehrlich, ich will nicht wissen, wie idiotisch der war, sich seine Verletzung zuzuführen. Ich erblicke sein rotes Basecap, dessen Schild weder frontal noch dorsal zeigt und frage mich, wieso seine Hose meint, sie müsste mir seine ersten Sakralwirbel zu Schau stellen. Nach der wortkargen Bitte, seinen Finger nun zu strecken übertönt sein nochmaliges „Zzzzzzzzz, Aaaaaaaaa, Huuuuuuu“ die Äußerung, dass „das bei Ihm nicht ginge“. Emotionslos drücke ich den Digitus mit erdigem Nagel flach und brodel innerlich. Auf dem Weg zum Schaltpult habe ich die Gott gegebene Gelegenheit, meine Augen im Maximalradius zu verdrehen.

Zum Feierabend sehe ich ein Bett auf die Geriatrie fahren. „Meine“ Omi…Sie hat eine Patientenverfügung mit den Wunsch: Nicht`s machen bitte. 

Ich hoffe, man hält sich daran.

 

Kolumne 3

 

"Hölle Valgus"

 

Montag Morgen: Diagnostische Rushhour. Ich stürze ins Wartezimmer, welches ein bunter Anblick aus halb schlafenden Grüngesichtern, desinteressierten Zeitungslesern und bulldoggenartig guckenden Zeitmangelgeplagten ist. Meine erste Patientin ist eine Hallux valgus Königin, die einen Gesichtsausdruck trägt, der von meinem Sehnerv geleitet, sofort Krawallhormone produziert. Noch bevor ich Guten Morgen sagen durfte, streckt sie mir Ihren Röntgenausweis am langen Arm entgegen. Tolles orange, denke ich beim Betrachten Ihrer langen Krallen. Nur fast trifft es den Ton des  schmierigen Konturenstiftes auf ihrem schmalen Mund . Zielgerichtet läuft sie in die Kabine, deren Zuweisung sonst meine Aufgabe ist. Spitz fragt sie mich rein rhetorisch, ob sie Ihren schwarzen Mecron Schuh ausziehen soll und knallt von innen die Kabinentür zu. Mit dem folierten Röntgenpass in der Hand stapfe ich in den Schaltflur und presse den tuscheblassen Klinikstempel rein, notiere und dokumentiere meine anschließende Tat. Ich warte noch etwas, bis ich die Kabinenhöhlentür des Löwen öffne. Wie vor dem Startschuss eines 100 Meter Lauf steht sie schon bereit und schnipst humpelnd an mir vorbei. Als ich sie bat, auf entsprechender Position platz zu nehmen erwähnt sie empört, dass das doch beim letzten Mal anders von statten ging. Erklärend setze ich meinen diagnostischen Plan durch und bereite alles vor. Schon fragt sie argwöhnisch, ob sie denn keine Schürze bekommen würde. So weit war ich eigentlich noch gar nicht.  Ohne jeglichen Blickkontakt reiche ich ihr das hüftumarmende Bleigewand. Nach dem sie den Gonadenschutz circa 8 mal hin und her gezupft hatte darf ich Ihren unschönen Fuß endlich lagern. Während meiner Einstellung übt sie schon mal fleißig die Belastung des Vorfußes, welche jedes mal dazu führt, das meine fachliche Einblendung zunehmend unpräziser wird. Mir reicht´s und ich bitte sie konkret, das zu unterlassen. "Sie sind aber forsch, junges Fräulein" sticht sie zurück. Ich frage mich innerlich, was genau bei ihr eigentlich fehlgestellt sei. Ich bin froh, als die Frau mit dem überlangen Doppelnamen schließlich meinen Raum verlässt.

Mit Aufmerksamkeit verfolge ich eine gehetzte, weiße Gestalt, von dessen Gang und wehendem Kittel man meint, es wäre ein fliehender Mönch. Wofür wird er wohl beten? Pünktlicher Feierabend? Weniger Papierkram? Mehr sensitive Zeit für Patienten? Flachere Hierarchien oder die Zuneigung einer blonden Stationsschwester? Arzt sein, denke ich, ist schwer. Ein Balanceakt zwischen medizinischer Wissenschaft und Praktik, Ethik und Betriebswirtschaft. Gespickt von Schlafmangel und Karrieresehnsucht - ein insgesamt zeitfressendes Inferno. Ihnen zuzuarbeiten ist ein toller Job! Sie brauchen unsere "Fotos", um anschließend therapeutisch arbeiten zu können. Wir tragen einen Teil Ihrer Verantwortung und das ist spannend und bindend. Eine gute, mitdenkende, kritikbereite Röntgenassistentin ist das Fundament von so manchen Ambulanzstress. Ärzte sind so verschieden wie das Wetter, wie der Mensch an sich, wie eben Ärzte. Mit dem einen gehts, mit dem anderen ist es ein zäher Krampf. Ich habe mal gehört, dass im Studium gesagt wird, das man es sich mit der Röntgenabteilung gut stellen sollte. Wer nett ist- bekommt was er will und zwar schnell! Stimmt übrigens. Es ist ein tiefes flaues Gefühl ein Leitlinien- fremdartiges Exemplar deren suchenden Blicken vor die Nase zu halten und hilflos den MTRA- Ausredenkatalog abzuspulen. Es ist nun mal unsere verdammte Pflicht, alles so aussehen zu lassen, als wäre es stets der ideale Patient und die gleiche Tagesform. Ist er aber nicht!- nun gut, Situationsaufnahme. .

Ein Luftstrom streift leise meinen Arm. Da ist er wieder, der temporeiche Weißkittel mit der geduckten Positur. Ich lausche unfreiwillig einem Gespräch der Kolleginnen von der Patientenverwaltung- Montag sei jetzt neuerdings auch Fußsprechstunde. Hm, ich verstehe.

 

Kolumne 4

 

"Personal- Vampirismus“

 

Das Licht vom Monitor meines PC strahlt mir in den offenen Mund. Pünktlich sitze ich, wie jeden Monat, vor den bunten Schaltflächen des Dienstplan- Programmes. In mir kreisen die Worte: „Woher nehmen, wenn nicht stehlen?“ und ich versuche, die Schichten und lästigen Bereitschaftsdienste mit einer geringen Anzahl von regressiv motivierten Mitarbeitern zu befüllen. Deren Stundenkontingente sind bereits langfristig ausgeschöpft. Ich bemühe mich, dabei in jeden irgendwie mental reinzuschlüpfen und emphatisch nachdenken, ob die kleine Zeit zum Durchatmen, Freizeit und Familie für sie noch übrig bleibt. Man nennt das wohl heute in der modernen Gesellschaft: Work- Life Balance. Ein gutes Gewissen hab ich nicht, denn es ist mathematischer und praktischer Fakt- wir sind chronisch unterbesetzt! Ich atme tief, stöhne die Büroluft schweren Herzens raus und schließe meine monatliche Planung ab. Dann verschränke ich beide Arme vor meinem Bauch, verharre in Reklination meiner Halswirbelsäule und starre leer an die Decke, während ich akustisch verfolge, wie der erste Ausdruck des entworfenen Schichtmodells für den kommenden Monat sich faltig und blass aus dem Drucker quält.

Ich frage mich, wie es weiter gehen soll? Es ist selbstverständlich, dass man personelle Krisen, Urlaub, krank aus eigenen Ressourcen übersteht und die Röntgenabteilung einer Klinik läuft. Wissen wir alle, können wir alle, machen wir alle. Doch nach den vielen Jahren, sind wir alle. Es herrscht Fachkräftemangel und das Engagement und Verhandlungsinteresse der Geschäftsführer, die fehlenden Stellen zeitnah zu besetzen, bleibt einfach aus. Geht ja auch so…, stimmt`s? Immer wieder drückt die Wut meiner Mitarbeiter gegen mich und von oben die eiserne Erwartung, ich solle alles hier zusammen halten.

Ich werde brüchig. 

Dabei hat Herr Röntgen damals im November 1895 eine echte visuelle Tür geöffnet. Hut ab, Conrad! Durch Sie hat die Medizin Ihr Wirken um ein Vielfaches potenziert und wir, die Radiologieassistenten, bedienen fachlich diese grau melierte Schranke. Ein Kranker, der Arzt, die Klinik sind elementar drauf angewiesen, das es unsere Schnittstelle gibt. Warum riskiert man, das unser Schiff pö a pö durch kentert?

Ein junger Mann mit ektomorphem Körperbau wird mir wenig später eilig in der Röntgenraum geschoben. Trotz Luftnot stemmt er sich vor das Wandstativ und ich kann das Bestehen und das lebensbedrohliche Ausmaß seiner Verdachtsdiagnose somit sichern. Wieder wenig später besuche ich ihn auf Station mit meinem fahrbaren Gerät und bin ebenso erleichtert, als sich seine lange Lunge mit Hilfe der gut platzierten Drainage wieder entfalten konnte. Ich zupfe den Gonadenschutz von seiner Bettdecke, er lächelt milde und unterdrückt krampfhaft seinen Hustenreiz. Die Schachtel Zigaretten, die auf dem Klamottenstapel neben dem Bett aus dem Karohemd des Hardgainers blinzelt, wird wohl hoffentlich bald entsorgt werden, denke ich ein bisschen hoffnungsvoll beim Verlassen des Zimmers.

Work-Life Balance. Immer noch turnt mir dieser Begriff auf den Neuronen. Wie kann ich unter den Umständen diese Einheit für mich wieder finden? Wie schaffe ich es, die Gedanken daran zu Hause, in der Nacht, beim Zähne putzen, bei Möhren schälen, beim Haare waschen, beim Spaziergang, beim Wäsche Aufhängen und beim Zöpfe flechten meiner Tochter zu verbannen?

Mir wird klar, das ist auch harte Arbeit.

 

 

Kolumne 5

 

„Die Pause“

 

Ich sitze in unserem Aufenthaltsraum. Eigentlich ein möblierter Ort zum Erholen. Man hat hier die tariflich geregelte Möglichkeit, seinen ausgebrannten Energiehaushalt etwas aufzupeppen. Ein sauerstoffarmer und geschmackloser Tummelplatz hierarchisch sortierter Berufsgruppen. Jeder stört jeden. Manchmal jedoch entstehen hier unterhaltsame Runden… Ich blicke mich um und entdecke liegende und stehende PET - Flaschen mit Wasserresten und diversen farbigen Zuckerlösungen, Pflasterrollen, Kuli`s, Oliven- Handcreme, Zeitungen, knittrige Bäckertüten, orange Südfruchtschalen, Verschlussstopfen für Braunülen, Tassen, ein Sammelsurium an Tupperdosen, nasse Teebeutel, einen einsamen Gummibär und Zentimeterware alter Salzsticks. Der Kühlschrank ist ein eisiges Kleinod für gelagerte, zum Teil längst vergessen gegangener Nahrung und manchmal mit dem Brutschrank eines Labors zu verwechseln. Dessertschalen gefüllt mit Milchspeisen darstellenden Produkten aus der Cafeteria übersät von toxischen Schimmelsporen erinnern an Experimente mit Petrischalen. Es handelt sich um einen toten Pudding.

Ich öffne die Mikrowelle mit dem Gesichtsausdruck, als stehe ein verhuschtes Gespenst in Erwartung und leite mir her, das sich Großmeister Jackson Pollock hier wohl mal kurz mit seinen Pinsel drin verirrt hat.

Auf dem klebrigen Tisch hockt ein letztes Anstandsstück obdachloser Marmorkuchen, der durch seinen Namenshinweis auf das mineralische Carbonatgestein ebenso seine jetzige Konsistenz verrät. Es wartet noch auf einen armen unterzuckerten Irren, der bereit ist, fernab jedes Aggregatzustandes dieses süße Teilchen in einem unbeobachteten Zeitpunkt zu vertilgen. Ich begrüße die restlose Verwertung von Nahrungsmitteln und hoffe auf einen haltlosen Augenblick des kommenden Nachtdienstes in der zentralen Notaufnahme. Apropos schwache Momente: Das kleine Sofa mit seinen fussligen Decken könnte nach dem Tiefpunkt der Leistungskurse des Arbeitnehmers in der Nachtschicht wenigstens wieder halbwegs hergestellt werden. Ätzend!,  denke ich und öffne den Deckel meines braven Naturjoghurts und nehme die obligatorischen Klekse an Oberteil und Handrücken wie selbstverständlich hin. So eben möchte ich mir noch einen kleinen Löffel dazu holen, da muss ich feststellen, dass der Besteckkasten bis auf einen überflüssigen Nussknacker leergeräumt ist. Und nun ist es gewiss, absolut unabwendbar und wahr geworden- inneres Schreien, denn ich muss nun die Luke der Spülmaschine öffnen.

Augen und Nase zu und durch! Zielstrebig befreie ich den metallischen Esshelfer aus der gepferchten Situation im Besteckfach. Geschafft! Nach dem anschließenden olfaktorischen Schock schlage ich die Maschine wieder zu. Versöhnlich vermenschliche ich die silberne Waschkraft und sage ihr, sie hätte einen wirklich schlechten Atem. Ich weigere mich zunehmend, Spültabs zu besorgen und brenne vor Wut auf die Gruppe ignoranter Raumnutzer.

Ich rette den Löffel mittels billigem Spüli von einer klebrigen Substanz und trockne ihn mit einen Papiertuch ab. Nun endlich kann ich meinen Zwischensnack genießen. Ich schiebe den Stuhl weg und fege mit der Hand die Krümel von der Sitzfläche. Boh, ich kann nicht essen, wenn ich sehe, dass eine Blume Durst hat! Floral karitativ springe ich schnell auf und suche nach dem passenden Behältnis zum Gießen des zart grünen nach Photosynthese lechzenden Kümmerlings. Ich schnappe mir den Wasserkocher und lasse das kühle Nass über eine Art kalkiges Korallenriff in selbigen laufen. Nach der heilenden Tat setze ich mich entspannt hin und tauche meinen blanken Löffel in den Becher. Zeitgleich klingelt mein Telefon, es eilt, ein Verdacht auf Magenperforation ist im Anmarsch. Ich entscheide mich gegen Zwischenkühlung meines Probioten und beende die Pause.

 

 

Kolumne 6

 

ITS“

 

Ich bin unterwegs zur Intensivstation. Den Detektor untern meinen Arm geklemmt habe ich nun die Aufgabe, beatmeten oder ansonsten dem terminalen Moment ihres Lebens derzeit sehr nahen Patienten eine Lungenaufnahme anzufertigen. All das, um zu erkennen, wo genau diverse Katheter, Tuben und sonstig eingeführte medizinische Produkte intrakorporal lagern. Beim Anblick des hilflosen Fettleibigen wird mir bewusst, in wie viele Körperöffnungen es möglich ist, sekretorische und der Dejektion dienende Kommunikationsmittel einzuführen. Tief im Unterbewusstsein bin ich stets erschüttert und bereite meine Tätigkeit vor. Ich höre, wie die Luft in die verschleimten Lungen des Patienten gepresst wird, Diese charakteristische Geräuschkulisse erinnert mich an eine hektische Fusion sämtlicher Aldi und Lidl Kassen in der Region. Beeindruckend versiert wirkt das pflegerische Personal auf mich. Die eilen zur Hilfe und wir entfernen die leichte Decke von dem schweißnassen Körper. Eine monströse Bauchnarbe auf prallem, blassen Untergrund starrt mich an, während der wehrlose Körper in demütigender Position breitbeinig vor mir liegt. Zwischen selbigen ein riesiges ödematöses Gebilde, was einst ein Status seiner für Nachkommen zeugenden Männlichkeit sein sollte. Bestückt mit keimabgrenzendem Latex versuche ich an all den Schläuchen vorbei, meinen Bildempfänger zu positionieren. Wie ein unbeweglicher schwerer und dennoch leerer Sack wird der Patient vom muskulösen Personal gehievt und versucht, sanft wieder auf sein Kissen gleiten zu lassen. Beim Einstellen restlicher Feinheiten schleift mein Blick an seinen krallenartigen Fußnägeln vorbei und ich muss aufpassen, das der fast zum dunkelgelben Kugelfisch mutierte Urinbeutel nicht platzt. Ich melde vorwurfslos dieses leise Symbol des ansteigenden Personalmangels.

Ein betont gut gelaunter Intensivpfleger betritt den Schauplatz. Laut und frotzelnd teilt er den tüchtigen Kollegen mit, dass die Verlegung meines gerade geröntgten nun von statten gehen kann. Die Erleichterung über sein baldiges Fehlen kann ich aus praktischen Gründen sogar nachvollziehen. 

Doch was an diesem Körper ist noch er selbst? Seine mit Creme verschmierten Augen kann er nicht öffnen, über seinen mit einem Tubus zugestopften Rachen kann er sich nicht mehr mitteilen, seine wie mit Pergamentpapier überzogen wirkenden Hände sind lahm und kraftlos. Ob seine deformierten Füße sein Gewicht je wieder tragen werden? Empfindet er Schmerzen? Was hören seine Ohren tatsächlich? Wie verarbeitet sein Gehirn diesen Ausnahmezustand? Sehen ihn seine Angehörigen in diesem Dilemma? Hat er tatsächlich eine echte Chance auf ein weiteres, selbstbestimmtes Leben?

Fertig mit meiner Desinfektion des Röntgenapparates schiebe ich ordnungsliebend seinen Nachtschrank neben das Bett zurück. Neben vielen Krankenblättern, Wattestäbchen zum Lippen befeuchten, einer Armbanduhr und einem Kuli entdecke ich ein entzückendes Bild. Bunt darauf gezeichnet ein kleiner Traktor und zwei Hühner. „Für Opa“ steht oben.

Wie immer auf Intensivstation drücke ich meine Wahrnehmung auf ein für mich machbares Minimum und blocke alle meine Gedanken und Emotionen ab. Ich trabe zurück zu meiner Abteilung. Dabei muss ich noch dem ein oder anderen Überlasteten „Hallo“ sagen und schnappe auf, wie eine Schwester sich eilig einen Muffin in den Mund schiebt. Aus dem letzten Zimmer der Station dringt ein überwältigender Fäkalgeruch, dessen nicht weg zudenkende Wirkung mein darauf hin ohnmächtiger Magen mit versuchter Antiperistaltik beantworten will. Gekonnt atme ich effizient weiter und überlebe diesen nasalen Angriff zum hundertsten mal.

 

Kolumne 7

Bereitschaftsdienst“

 

Bereitschaftsdienst. Bereit sein. „Bereit, wenn Sie es sind, Doc.“…eine markante Szene aus „Schweigen der Lämmer“, die mir beim Gedanken an die vielen gefangenen Stunden in der Klinik kurioser Weise einfällt.

Voll beladen mit einem 24 h Überlebenspaket bestehend aus Nahrung und frischen Sachen betrete ich das nach synthetischer Auslegeware und billigen Möbeln riechende Örtchen des Rückzugs- das Bereitschaftsdienstzimmer. Hat was vom Kaninchenstall meines Opas. Jede für eine grundlegende Patientenversorgung wichtige Funktionseinheit bekommt außerhalb der regulären Tagesversorgung eine Art Kammer zugeteilt, in der man sich in so genannten Ruhephasen tariflich abgesegnet zurückziehen darf. Die Zeitfenster für Erholung sind nicht kalkulierbar und direkt proportional zum unvorhersehbaren Patientenaufkommen der nächsten meist 12 bis 26 Stunden. Das Gefühl vor so einer Zeiteinheit hat war Zähes, Schweres, Betrübendes an sich. Ich glaube man nennt das null Motivation. Ich rede hier keinesfalls von der klassischen Unlust auf Arbeit- eher von dem Gefühl, ungeregelt und unabdingbar als Einzelperson zur Verfügung stehen zu müssen, ohne dem Natur gemässen Bedarf an Schlaf und Regenerierung gerecht werden zu können. 

Es ist diese Dauer, es ist die Nacht. 

Wenn dich dein Kind bei Mondschein weckt, ist man durch tiefe Liebe besänftigt. Wenn dich ein Not leidender Patient des nächtens braucht- ist man durch die berufliche Bestimmung und menschliche Hilfsbereitschaft ebenfalls beschwichtigt. Wird man durch Routine Diagnostik zum x-ten mal aus dem Halbschlaf gerissen, spielen die Gefühle so langsam verrückt. Holt einem eine medizinische Lappalie, die bereits schon ein paar Tage andauert, zum Arbeitsplatz- könnte man explodieren. Trifft man nach wiederholtem Male des angehenden Döselschlafes auf einen nach kaltem Blut und stinkendem Urin riechenden Alkoholisierten, entgleiten nun bereits die Gesichtszüge. Wandelt man nachts, wenn die eigene Bewusstseinsebene und das emotionale Schutzschild komplett verbeult sind, zur Intensivstation, so saugt man das Elend quasi auf und trägt es im Kopf mit zurück auf das kalte Kissen. Technische Probleme kennen ebenfalls keine Nachtruhe. Mault dann noch einer rum- ist man zum Töten bereit. Der schmale Blick mit großen Pupillen gegen das Neonlicht und den überdimensionalen Spiegel im Fahrstuhl eröffnet einen erbärmlichen Anblick und die immer wieder aufkeimende Frage: „Was mach ich hier eigentlich“?

Die fleißige Pflege in der Ambulanz zeigt sich meiner Somnolenz gegenüber äußerst emphatisch und versucht, für mich laut mit dem anstrengenden Patienten zu sprechen. Danke.

Zurück auf der für einen gut gehenden Bordell Betrieb tauglichen Gummimatratze liege ich völlig überdreht und mit Herzrasen schwitzend unter meiner Decke, deren Bezug bereits zu flüchten beginnt. Ich belausche die Kirchturmglocken und zähle jedes Stundenquartal. Nebenan klingelt das Telefon, die Türen fliegen, ein elektrisches Rollo geht lautstark in Position und rechts neben mir liegt ein penetranter Schnarchsack aus der Anästhesie, der wohl heute Nacht vom Einsatz verschont bleibt.

Irgendwie gelingt es mir, in der Morgendämmerung in einen traumreichen Unruheschlaf zu gelangen und erst gegen 6:30 Uhr spüre ich meine verspannten Muskeln unter dem Kopfschmerz wieder. Auf der anderen Seite des Hasenhotels campiert der ärztliche Dienst der Gynäkologie. Oh Gottes Segen, ein Kind kommt zur Welt! Somit kein Problem den herrenlosen Wecker, dessen hochfrequenter Schall unaufhörlich die dünne Wand passiert, zu ignorieren? Nein! Ich bebe vor Rage und möchte die Wand einschlagen, um den Wecker der vergesslichen Geburtshelferkröte in 1000 Teile zu zermalmen.

Zerknirscht stehe ich unter der Dusche. Erneut klingelt das Telefon. Ich versuche, ohne detailliert auf die momentane prekäre Situation einzugehen, zu erklären, das das jetzt wohl noch einen winzigen Moment dauern wird.

Mit all diesen gespeicherten Hirnmatsch betrete ich einen so genannten freien Tag, an dem es einfach besser ist, man lässt mich bitte in Ruhe…

 

 

Kolumne 8

 

„Kollegen“

 

Kollegen, so bemerke ich, sind eine besondere Form der menschlichen Bindung. Man kämpft mit dem gleichen Ziel um eigene Ziele. Gepresst in Hackordnung und charakterliche Zwischentöne meistert man gemeinsam eine Abfolge von Handlungen, deren Profit leise im Schlund des Kapitalisten verschwindet und wiederum dem Arbeitnehmer ein süßes Überleben im bitteren Alltag sichert. Zu eng, um als Persönlichkeit hinter den Kulissen zu bleiben, zu weit, um all seine privaten Hintergründe für die ein oder andere Eigenschaft oder Reaktion verständlich zu machen. Man kann sie sich eben nicht aussuchen, die Kollegen. Wie schön, wenn man dabei von Menschen umgeben ist, auf deren Wellenlänge man mit schwimmen kann, mit deren Rhythmus man agiert, deren Kommunikation sowohl sachlich als auch menschlich geradlinig vor allem fair ist. Dann ist da noch die besondere Spezies derer, die einen zum Lachen bringen können und mit einem simplen Smalltalk am Tag das individuelle Talent haben, die nötige Durchhalte- Energie ihm mir frei zu setzen. Ein echtes Geschenk für ganze acht Stunden oder manchmal auch mehr. Kollegen sind ein maßgebliches Standbein für Freude an der Arbeit. Ich bin glücklich darüber, das erfahren zu dürfen. Doch in der heutigen Zeit ist selbst Teambindung sogar ein diffiziles Druckmittel geworden. Was tun, wenn ich ausfalle? Dann muss ja der oder die für mich…oh! Verantwortung, Schuld, Gewissen, Interaktion, Perfektion, Leistung- läuft doch!

Dann gibt es da noch die, die wie lästige Energieräuber einem den ganzen Tag unwillkürlich über den Weg tänzeln: Pseudoblinde Nicht- Grüßer, faule Pappnasen, aufgeplusterte Dummschwätzer, hochfrequente Plappermäuler, nervöse Strukturverweigerer, egomane Türenschmeißerfreaks, kalkulierende Brückentagserhascher, vergessliche Phlegmatiker, die chronisch bestraften Überlasteten, fachliche Improvisierer, unzufriedene Rummotzer ( aber null Ideen dazu), ewige Krankmacher, tratschgierige Labertaschen,  hinterm Rücken schlecht Reder und danach falsch Grinser, memmige Kurbeantrager, ewige Vorteils Seher, penetrante Klugscheisser, monoperspektivische Unflexible, Schluder- Heinis, Klobürsten- nicht- Benutzer, haptisch veranlagte über die Schulter Gucker, timinglose Dazwischenquatscher, doofe Fragen Steller und die immer im Weg Steher. Hab ich alle?

Mal ehrlich, ein bißchen von „denen“ steckt in jedem von uns…

Was ist man selbst für ein Kollege? 

Zwölf langweilige Thorax Aufnahmen später fühle ich mich schlecht. Ich spüre, dass meine einstige Gesinnung zur Kollegialität der Erkenntnis über die Folgen anscheinend weicht. Ich helfe einem männlichen Senioren beim Zuknöpfen seines gebügelten Hemdes und fühle mich endlos weit weg. Wie ein knöchernes Fröschchen steht der Patient vor mir- die Hosenträger hängen runter und er versucht, mit seinen gebeugten, weit auseinander gestellten dünnen Beinen das Rutschen seiner braunen Cordhose erfolglos aufzuhalten. Gefühlte 50 Miniknöpfe an Bauchseite und Ärmelrand später, entlasse ich ihn mit gut sitzendem Beinkleid aus den verbleiten Gefilden der Radiologie. Dabei erspähe eine Kollegin mit herab hängenden Mundwinkeln, deren einstige Blicke mir schon seit Wochen ausweichen. Was hab ich getan? Keine Ahnung und vor allem: keine Lust, nachzufragen!

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© Katja Dreißig